Ein Schauspieler mit vielen Zungen

Michael Quast und Philipp Mosetter geben den "Faust"

Frankfurt am Main (pia) - Eine Brust. Zwei Seelen. Ach! Beziehungsweise: Ein Text, zwei Tische, daran zwei Vortragskünstler wie sie unterschiedlicher - ach! - kaum denkbar sind. Der eine ein sauertöpfischer Philister, korrigierend, kommen-tierend, kommandierend und mithin völlig korrekt hinterm Sekundärliteraturstapel angesiedelt; ein verzücktes Kasperle der andere, der nicht minder stilgerecht die gehörnte Handpuppe bedient. Es lesen: Philipp Mosetter (links), Michael Quast (rechts). Sie lesen (na was wohl, in dieser Stadt, in diesem Jahr, na also:) "Faust".

Wir schreiben die 74. Minute: "Hexenküche". Mosetter hat soeben die Bedeutung der Heisenbergschen Unschärferelation für Goethes Hauptwerk dargelegt und mit einer bescheidenen Reminiszenz an ferne Jugendjahre unterstrichen. Jetzt spricht Quast. Er spricht vielzüngig, fünf Rollen auf einmal, mit der Eloquenz und Selbstgewissheit einer gut gestimmten Ein-Mann-Kapelle beim Da capo: Die Hexe hämisch. Die Meerkatzen keifend. Mephisto (Handpuppe) mit extra viel Speichel im Schandmaul und den greisen Doktor Faust, als hätte der seine Kukident-3-Phasen-Haftcreme im Studierzimmer vergessen. Hexenkessel! Das Publikum klatscht im laufenden Akt. Und - Schnitt.

Das Café Mouson im gleichnamigen Frankfurter Künstlerhaus, knapp 24 Stunden später. Michael Quast (39) sitzt am Katzentisch gleich neben der Tür und lässt die Gabel so herzhaft auf eine Portion Salatblätter niederfahren, dass die Remoulade über den Tellerrand spritzt. "Sonst bin ich ja ein eher ruhiger Typ." Kauend: "Leute, die mich nur privat kennen, sind perplex, wenn sie mich auf der Bühne sehen. Die kommen hinterher zu mir von wegen: Mensch, das hätten wir nicht gedacht."

Wenn der erste Satz, den man über Michael Quast sagt, der wichtigste Satz sein soll, dann muss man im ersten Satz sagen: Den Michael Quast gibt es im Grunde nicht. Es gibt den Schauspieler, den Kabarettisten, den Privatmenschen Quast. Es gibt Quast auf der Bühne, im Radio, im Fernsehen und seit einiger Zeit auch in einem verschlafenen Nest names Erbuch im Odenwald. Der Schauspieler Quast hat an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart gelernt, 1982 im Düsseldorfer Kom(m)ödchen angefangen und 1985 am Frankfurter Schauspiel seine ersten Kritikererfolge gefeiert. Der Kabarettist debütierte im gleichen Jahr mit "Satyr im Getriebe", reichte 1989 das Soloprogramm "Die Wüste lebt" nach, heimste dafür diverse Preise ein und verlustierte sich in einer eigenen Show zwei Jahre lang beim Bayrischen Fernsehen. Seit 1990 geht er ein Mal monatlich beim Hessischen Rundfunk auf Sendung. So weit, so imponierend.

Im Café Mouson, zwei Stunden vor der nächsten "Faust"-Vorstellung, treffen wir aber den privaten Quast, und der ist ein bescheidener, über die Maßen grübler-ischer Mensch. Er ist außerdem so überhaupt nicht komisch, was er - "warum sollte ich?" - dann auch unumwunden zugibt. Fernab der Bühne seien Komiker oft große Ekel, griesgrämige Unglückswürmer mit Hang zur Tyrannei, führt er aus und lässt offen, ob er sich damit mitmeint oder nicht. Der Privatmensch Quast erzählt, wenn schon, dann Witze wie diesen: "Kommt ein Mann zum Psychiater und beklagt sich über Mangel an Lebensfreude. Sagt der Psychiater: ‘Zur Zeit gastiert in unserer Stadt ein Zirkus. Sehen Sie sich den Clown Grock an - dann finden Sie die Lebensfreude wieder.’ - ‘Sie verstehen nicht’, entgegnet der Patient. ‘Ich bin Grock.’ "

Und da sind wir bei Goethe. Ein "Genie" sei der gewesen, aber auch ein "psychisch Gefährdeter", der "schreiben musste, um zu überleben." Quasts erste Goethe-Erinnerung datiert vom Heidelberger Theaterfest 1975: Damals hat der 16-jährige Pennäler den "Erlkönig" schneller ausgespuckt als jeder andere und dafür ein Steckenpferd aus der laufenden "Faust"-Inszenierung überreicht bekommen. Später hat er in den gesammelten Werken dann einen "ganzen, riesigen Kontinent" entdeckt, und auf dem kennt er sich mittlerweile prima aus.

Im Jubiläumsjahr gibt’s den Quastschen Goethe gleich auf mehreren Plattformen: einmal täglich im öffentlich-rechtlichen Hörfunk als satirischen Einminüter, in dem der Dichterfürst auf gut hessisch die Weltlage bespricht; außerdem im Schlag-abtausch mit Mosetter auf dem Theater. Gerade dieser "Faust" ist so recht nach Quasts Geschmack: "reduziert, respektlos und lächerlich unaufwendig - auch, um den Großen einen Spiegel vorzuhalten". Laut seiner eigenen Definition ist Michael Quast ein "Kleiner" - einer, der sich nicht an den meistbietenden Amüsierbetrieb verscherbelt hat, den dafür aber kaum jemand erkennt, wenn er im Supermarkt das Klopapier aufs Fließband legt. Plus: Kein Intendant, kein Programmchef unter Quotendruck quatscht ihm beruflich rein.

"Ich hätte es ja sehr viel einfacher, wenn ich als Künstler festzulegen wäre." Statt-dessen belegt er einsam die Multikulti-Sparte: "schauspielernder Kabarettist" (taz) oder "kabarettistischer Mime" (FAZ), wer weiß das schon? Auf jeden Fall hat der "Exot" (Quast) kürzlich die Operette "Blaubart" von Jacques Offenbach ganz alleine zu Gehör gebracht und seine kindische Freude dran gehabt. Einerseits: "Ich arbeite viel, zu viel. Vor jeder Premiere hab’ ich Todesangst." Andererseits: "Wenn es keinen Spaß machen würde, würde ich mir das antun?" Spricht’s, schiebt das letzte Salatblatt in den Mund und entschwindet Richtung Garderobe zur nächsten Faust-Lesung, zwei Seelen in seiner Brust. Aber - ach! Was soll’s.

Tanja Rest