GOETHE WAR KEIN BERLINER!

Umfrage der Stadt Frankfurt ergab Heiteres, Überraschendes und Nachdenkliches

Was erwarten die Frankfurter vom Goethejahr 1999? Wie weit kennen sie den großen Sohn der Stadt überhaupt? Solche und andere Fragen wollte die Stadt im Vorfeld der Jubiläumsfeierlichkeiten klären. Und führte eine Telefonaktion durch.

Frankfurt am Main (pia) - Die Bearbeitung des Goethe-Fragebogens lief auf Hochtouren. Das Telefoninterview zwischen der jungen Auszubildenden der Stadt und dem älteren Herrn fand hörbar in entspannter Atmosphäre statt. Es ging um Frage vier: Welche Zitate sind von Goethe?. "Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust", wiederholte der rüstige Interviewpartner voller Inbrunst. In diesem Augenblick hörte man ein deutliches Knarren einer sich öffnenden Tür und eine sehr energische Stimme im Hintergrund: "Aber Karl-Heinz, mit wem telefoniert du da?" Es dauerte eine gewisse Zeit, bis der Erklärungsnotstand beseitigt war und das Interview in regulären Bahnen weiterlaufen konnte. Und auch die dunkelhaarige Interviewerin, die sich von einem anderen Interviewpartner schon das Kompliment anhören durfte "sie haben so eine schöne blonde Stimme", war die Sorge vor einem angerichteten Ehekrach los.

Der Schmankerl wären viele zu erzählen angesichts der fast 1200 Telefoninterviews, die die zwölf wirklich aufgeweckten und nervenstarken Inspektoranwärterinnen der Stadt zum anstehenden Goethejahr durchgeführt haben. Das Überraschenste waren allerdings nicht die Antworten selbst, sondern die immens hohe Bereitschaft der Frankfurter, sich an der Umfrage zu beteiligen. Rund 54% derjenigen Bürgerinnen und Bürger, die telefonisch erreicht wurden, waren bereit, eine knappe Viertelstunde für die Umfrage zu opfern. Goethe als Umfrage-Objekt und die Stadt als Initiator der Umfrage haben wohl beide bei der Bevölkerung einen hohen Vertrauensvorsprung. Bei vergleichbaren Umfragen privater Agenturen liegt die Bereitschaft oft weit unter 40%, von wegen also schlechtes Image des öffentlichen Dienstes!

Daß aus den angekündigten 15 Minuten auch mal 30 oder gar 45 Minuten wurde, lag nicht an den Fragern, sondern am außergewöhnlich hohen Kommunikationsbedarf der ansonsten doch als verschlossen geltenden Frankfurtern. "Des hat ja richtig Spaß gemacht, mit der Umfrage, Mädche. Jetzt spiel ich dir aber auch noch eine Goethe-Lied vor, des ich selbst auf der Orgel vertont hab". Und los gings. Mit vielen, vielen Strophen, auf der Orgel, 82 Pfeifen und 16 Register. Manchmal war auch das Prinzip der Umfrage noch nicht ganz transparent. "Da will einer von der Stadt wisse, wann der Goethe geboren is. Karl, guck doch emal im Lexikon. So, mir habbes gefunne. Schreibe se uff. 28. August 1749."

Wolfhard Dobroschke, Projektleiter aus dem Statistikamt, mußte aber auch das große "sozialpflegerische Element" einer solchen Umfrage zur Kenntnis nehmen. Eine ältere Dame: "Ich bin jetzt über 80 und schon seit zehn Jahren blind und kann leider kein Buch mehr lesen, aber es war so schön, sich mal wieder mit jemandem über Goethe zu unterhalten". Überhaupt war ganz erstaunlich, wie die alten Menschen erzählen konnten - über Goethe, Mutter Aja, die Kindsmörderin und Goethes Frauengeschichten, als wären sie dabei gewesen. Goethe und die Frauen, Stoff für viele Erörterungen und Spekulationen. Ein zufällig ins Telefonraster gefallener Germanistikprofessor stellte allerdings mit einem halbstündigen philologischen Vortrag die Berechtigung der Frage nach dem Frauenheld in Abrede. Nach viel Geduld wieder zum Fragebogen zurückgeführt, dann die erschreckte Antwort: "Ach Gott, jetzt hab ich keine Zeit mehr, mein Seminar hat schon längst angefangen".

Daß die Frauen bei der Umfrage dominierten (60% der Antworten kamen von Frauen), lag nicht allein am Frauenüberhang in Frankfurt. Bisweilen war die Reaktion der Männer relativ kurz entschlossen: "Erna, die Stadt zu Goethe, geh du mal dran". Besonders hoch anzurechnen war allerdings die Bereitschaft eines Herrn, trotz seines Ärgers über die Stadt "drei Strafzettel innerhalb einer Woche, und alle drei (natürlich!) unberechtigt", an der Aktion teilzunehmen. Manche Hinweise führten aber auch etwas weit vom Thema weg. "Auf Goethe steh ich net so, aber könne se net mal sowas zu Jonny Cash machen?" Andere Anregungen waren durchaus hilfreich. Auf die Frage, wissen Sie, wo das Goethe-Haus steht, kam postwendend die Antwort. "Ich wohn schräch gegenüber und hab jeden Dach massenhaft Japaner im Hof, weil des Goethehaus net richtig beschildert ist". Aber auch die Ersteller des Fragebogens mußten sich bisweilen nach ihrer didaktischen Kompetenz fragen lassen. Die unvermittelte Frage nach der Bekanntheit des Götz-Zitates hat dazu geführt, daß sich einige Bürger direkt angesprochen fühlten und hörbar irritiert reagierten. B. Wagner

Dienstag/24.6.97/24

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