Mein Engelchen. Mein Äugelein. Mein Stern.

Ein Theaterprojekt mit Schülern über Goethe und die Frauen

Dreizehn Frauengestalten aus Goethes Biographie bringt die Regisseurin Nada Kokotovic in der Aufführung mit Frankfurter Schülerinnen und Schülern auf die Bühne. Die Inszenierung thematisiert das weibliche Selbstverständnis in der Goethezeit und verbindet Schauspiel mit Tanz und Musik. Am 18. Juni ist Premiere.

Frankfurt am Main (pia) – "Wenn ich Schauspielerin werden würde, dann wäre ich das schwarze Schaf in der Familie", meint Jasmina. Trotzdem wagt sich die sechzehnjährige Gymnasiastin, die "schon immer was mit Theater machen" wollte, jetzt auf die Bühne. In dem Stück "Mein Engelchen. Mein Äugelein. Mein Stern" über Goethe und die Frauen, einem Theaterprojekt mit Schülern unter der Regie von Nada Kokotovic, spielt sie Goethes Schwester Cornelia. Cornelia musste sich einst, wenn auch ebenso hoch begabt und gebildet wie ihr Bruder, den gesellschaftlichen Normen ihrer Zeit fügen und ihre künstlerischen Neigungen zugunsten einer bürgerlichen Ehe aufgeben, woran sie letztlich zerbrach.

Das von der Frankfurter Rundschau und der Siemens AG geförderte Theaterprojekt ist eine gemeinsame Veranstaltung des Schuldezernats und der Städtischen Bühnen zum Goethejahr. Nicht nur Jasmina muss dabei beweisen, dass sie Schule und Theater unter einen Hut bringt. Außer dem Goethedarsteller Jürgen Christoph Kamcke, einem professionellen Schauspieler, sind auch alle anderen der insgesamt 19 Mimen Schüler verschiedener Frankfurter Gymnasien. In der zweimonatigen Probenzeit opfern die 15- bis 18-jährigen jede freie Minute dem Theaterspielen. Dabei geht es auf die Zeugnisse zu, und viele von ihnen müssen für die letzten Klassenarbeiten pauken. Unter der Woche können die Regisseurin und ihr Team daher immer nur mit einzelnen Schülern "probieren". Nur samstags kriegt die Projektleiterin und Dramaturgin Christel Jörges alle Mitwirkenden zusammen. Und dann wird von morgens zehn bis nachmittags sechs konsequent gearbeitet. Schließlich wird die Zeit knapp. Am 18. Juni hat die Aufführung in der Kommunikationsfabrik in der Schmidtstraße Premiere.

Das Stück beginnt mit einer Szene im Fabrikhof, wo Goethes Frauen sich wie lebende Statuen erstmals dem Publikum präsentieren. "Ich bin die Frau von Stein", sagt eine blonde Dame, und ein üppiger Lockenkopf behauptet: "Ich bin die Vulpius." Insgesamt dreizehn Frauengestalten aus Goethes Biographie sind hier versammelt und berichten von ihrem Schicksal. Jede der mitwirkenden Schülerinnen hat eine Frauenrolle übernommen. Ein Mädchen wollte nur mitmachen, wenn sie die Goetheverehrerin Bettine von Arnim spielen dürfte. Die ungezähmte Romantikerin war eine echte Rebellin gegen althergebrachte gesellschaftliche Regeln. "Heute würde Bettine sich vielleicht die Haare lila färben und einen Ring durch die Nase ziehen", meint Christel Jörges.

Trotz aller historischen Bezüge entwickelt sich der folgende Hauptteil des Stücks, der zeitgleich in zwei Hallen der Kommunikationsfabrik aufgeführt wird, jedoch nicht zum Dokumentarspiel über die Frauen in Goethes Leben. "Es geht um eine Auseinandersetzung mit den bürgerlichen Zwängen und Nöten des weiblichen Selbstverständnisses in der Goethezeit", erläutert Christel Jörges, die die Texte der insgesamt 48 Szenen zusammengestellt hat. Ganz ähnlich wie im schwierigen Probenalltag prallen auch auf der Bühne immer wieder Kunst und Leben aufeinander. Jede der Frauen tritt daher möglichst in einer biographischen und in einer Theaterszene auf. Dazu kommen die Frauenszenen, in denen alle Mädchen als Gruppe typische Situationen aus dem weiblichen Alltagsleben jener Zeit vorführen. Da sticken sie beispielsweise alle an einem Tüllstrang – und singen dazu, gar nicht zeittypisch, unanständige Lieder. Die Texte für diese von Günter Lehr eigens vertonten Hanswurstiaden stammen von Goethe, der sie mit genauso großer Lust geschrieben hat wie sie die Mädchen jetzt intonieren.

Das Projekt, das sich vom gewöhnlichen Schultheater abheben will, verlangt viel von den Schülern. So haben sie sich für die Theaterszenen schwierigste Passagen aus Goethes Dramen, aus "Iphigenie" und "Faust", erarbeiten müssen. Dabei geholfen hat ihnen vor allem die aus Zagreb stammende Regisseurin Nada Kokotovic mit ihrem choreographischen Ansatz, den sie zu der besonderen Darstellungsform des “Koreadramas”, einer Verbindung von Schauspiel, Tanz und Musik, entwickelt hat. In dem jetzigen Projekt arbeitet Kokotovic erstmals mit Schülern. Dabei lernen nicht nur die Jugendlichen, denen ein Einblick in die professionelle Theaterarbeit geboten wird. Auch die Profis selbst haben etwas davon. "Wir müssen plötzlich unsere eingefahrenen Methoden hinterfragen", sagt die Dramaturgin Christel Jörges. "Wenn ein Regisseur schlecht ist, kann ein Schauspieler immer noch etwas retten. Bei den Schülern kommt dann einfach nichts.” Aber das weiß Nada Kokotovic schon zu verhindern... Sabine Hock

Das Stück "Mein Engelchen. Mein Äugelein. Mein Stern" über Goethe und die Frauen wird vom 18. bis 20. und vom 23. bis 27. Juni 1999 jeweils um 19.30 Uhr in der Kommunikationsfabrik Schmidtstraße in Frankfurt aufgeführt.

Am 21. Juni 1999 findet um 11 Uhr eine Vorstellung mit anschließendem Publikumsgespräch statt. Karten sind im Vorverkauf bei den Kassen der Städtischen Bühnen erhältlich.

Dienstag/8.6.99/ 23