Eine Stadt feiert ihren Dichter

Frankfurt am Main (pia) Da Johann Wolfgang Goethe selbst schriftlich behauptet hat, er sei am 28. August "mittags mit dem Glockenschlag zwölf" in Frankfurt am Main zur Welt gekommen, beginnen um diese Uhrzeit die Jubiläums-Feierlichkeiten zur 250. Wiederkehr des historischen Tages. "Goethe lebt" lautet die Botschaft einer "Inszenierung zwischen Dichtung und Wahrheit", durch deren zahlreiche Programmpunkte sich fast die gesamte Frankfurter Innenstadt zum Schauplatz einer gigantischen Geburtstagsfete zu Ehren des sprichwörtlich "größten Sohnes" wandelt.

Goethe seriös, Goethe schrill, Goethe poetisch, Goethe musikalisch – Goethe für (fast) alle. Denn von wenigen geschlossenen Veranstaltungen abgesehen, darf "das Volk" seinen Dichter nach freier Wahl und bei freiem Eintritt feiern, wie es will und sich aus dem Kaleidoskop aus Vorstellung, Darstellung und Ausstellung das jeweils Gewünschte herausgreifen.

Schwer wird man’s haben, will man möglichst alles erleben auf dem Weg zwischen Alter Oper, Taunusanlage, Römerberg und Hauptwache. Andererseits werden alle einzelnen Szenen und Aufführungen an den verschiedenen Orten bis in die Abendstunden hinein in regelmäßigen Abständen wiederholt.

Da stehen sie dann leibhaftig auf der Bühne. "Der Zauberlehrling" etwa aus der Goethe-Ballade, die man in der Schule einst auswendig lernen musste und die uns nun, anno 1999, als Choreographie begegnet. Oder die Fabel von "Reineke Fuchs" als Miniballett, "Der Rattenfänger", ebenfalls getanzt, und "Der getreue Eckart", dem vermutlich besondere Sympathien zufliegen werden. Er zieht nämlich mit einer Bierkutsche und der Verheißung von Freibier durch die Straßen. Und wenn man schon gerade beim Trinken ist, bietet sich der Gerechtigkeitsbrunnen auf dem Römerberg als nächstes Ziel an. Dort versucht Mephisto, Faust mittels Weib und Gesang zu beglücken, findet aber nur mit Wein seinen Beifall. "Wein statt Wasser" aus dem Brunnen darf auch das Publikum probieren.

Sucht jemand nach einem Grund, Goethe zu lesen, sollte er sich zum "Lese-Hain" an der Hauptwache wenden, wo Frankfurter zwischen 15 und 75 Jahren ihre ganz persönlichen Literaturbekenntnisse ablegen. Um was es sich bei einer poetischen Peep-Show handelt, offenbart sich in einem Zelt samt Kabinen mit Gucklöchern, während sich der Dichter auf dem fern-östlichen Diwan von japanischen Sängern feiern lässt. Ein einziges Mal betritt der Meister selbst die Bühne. In einem "dramatischen Disput Goethe versus Schiller" wollen die beiden Klassiker ihre Geisteskräfte messen.

Was jeweils gegen Ende einer Führung durch das Wachsfiguren-Kabinett in den Römerhallen geschieht, wird noch nicht verraten. Immerhin erfährt der Besucher Erstaunliches über Egmont, Götz, Iphigenie, Gretchen und viele andere Figuren aus Goethewerken. Männer-, Kinder- und Sprechchöre reihen sich ebenso ins Programm wie Albert Mangelsdorff mit seiner Posaune oder ein Pfarrer, dem bei der Predigt Goethe-Zitate mit der Bibel durcheinandergeraten.

In den Räumen der Alten Oper feiert man den Dichter-Geburtstag mit Lesungen, Filmen und Vorträgen sowie prominenten Gästen wie Friedrich Schorlemmer, Adolf Muschg und Eugen Drewermann. Glanzvoller Höhepunkt und zugleich Finale der Feierlichkeiten am 28. August ist die Abendveranstaltung im Großen Saal unter dem Motto "Wie klang die Welt, als Goethe 77 Jahre alt war?" Dabei wird das musikalisch interessante Jahr 1826 beleuchtet, in dem Werke von Komponisten wie Beethoven, Schubert, Weber und Mendelssohn-Bartholdy uraufgeführt wurden oder noch in Arbeit waren. Mitwirkende sind die Junge Deutsche Philharmonie und das NOMOS-Quartett unter der Leitung des Dirigenten Lothar Zagrosek. Für Gäste draußen wird das Konzert auf eine Großleinwand übertragen, und zu Händels "Feuerwerksmusik" endet das Ganze mit einer Feuerwerks-Inszenierung auf dem Opernplatz.

Künstlerischer Leiter des Programms ist der Schweizer Regisseur Armin Brunner, die gesamten Feierlichkeiten stehen unter der Schirmherrschaft der UNESCO.

Aus Anlass des 250. Geburtstags wird die Verleihung des eigentlich alle drei Jahre fälligen Goethepreises der Stadt Frankfurt um ein Jahr vorgezogen. Der Festakt, bei dem der Schriftsteller Siegfried Lenz ausgezeichnet und durch eine Laudatio des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki gewürdigt wird, findet in der Paulskirche statt. Lore Kämper

(Informationen: Geschäftsstelle Goethejahr 1999, Tel.: 069/212 31605)