Wo der Phönix gewiegt wurde

Ein neuer Leitfaden führt durch das Frankfurter Goethehaus

Großer Hirschgraben 23 – so lautet die Frankfurter Adresse, an der Johann Wolfgang Goethe am 28. August 1749 geboren worden ist. Pünktlich zur Feier seines 250. Geburtstags erscheint im Insel Verlag ein neuer Führer durch das vom Freien Deutschen Hochstift 1863 erworbene und der Öffentlichkeit zugänglich gemachte Goethehaus.

Frankfurt am Main (pia) - In dem Frankfurter Bürgerhaus im Großen Hirschgraben 23 scheint die Zeit stillzustehen. Das Ambiente des mittleren 18. Jahrhunderts ist so perfekt, dass es kaum verwunderte, wenn gleich ein halbwüchsiger Knabe im blauen Frack und mit weiß gepudertem Haar die breite Sandsteintreppe hinabstiege. Schließlich war er hier zu Hause, jener Junge namens Johann Wolfgang Goethe, der der größte deutsche Dichter werden sollte. Statt seiner kommen jedoch einige Touristen in der typischen Freizeitkluft des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Nur ihr Anblick erinnert daran, dass das seit 1863 vom Freien Deutschen Hochstift betreute Goethehaus eigentlich ein Museum ist. Ansonsten wird der historische Wohncharakter der Räume durch nichts gestört – auch nicht durch eine Beschilderung der Zimmer und ihrer Einrichtung.

Um so wichtiger ist es, den Besuchern, derzeit durchschnittlich 11.000 pro Monat, gutes Begleitmaterial anzubieten, das sie auf ihrem Weg durch das Goethehaus leitet. Bisher mussten sie sich mit einem schmalen und noch dazu spärlich illustrierten Heft behelfen, das von dem verdienten Hochstiftsdirektor Ernst Beutler zur Eröffnung des wieder aufgebauten Goethehauses 1951 verfasst und seitdem nahezu unverändert nachgedruckt wurde. Gerade pünktlich zu Goethes bevorstehendem 250. Geburtstag erscheint jetzt im Insel Verlag ein neuer Führer durch das Goethehaus. Autoren sind Dr. Petra Maisak, Leiterin von Goethehaus und –museum, und Dr. Hans-Georg Dewitz, Fremdenführer im Goethehaus.

Eingeleitet wird das 120 Seiten starke und reich bebilderte Taschenbuch mit zwei grundlegenden Aufsätzen über "Frankfurt zur Zeit des jungen Goethe" und über "Architektur und Geschichte" des Goethehauses. Darin ist etwa zu erfahren, dass Goethe am 28. August 1749 gar nicht in diesem Haus geboren wurde. Seine Wiege stand in dem eigentlich aus zwei miteinander verbundenen Fachwerkhäusern bestehenden Vorgängerbau, den die Großmutter Cornelie Goethe geb. Schelhorn am 1. April 1733 zum Preis von 6000 Gulden erworben hatte. Erst 1755/56 ließ Goethes Vater Johann Caspar die beiden düsteren Handwerkerhäuser zu dem stattlichen Wohnhaus in der heute überlieferten Gestalt umbauen. Dort verlebte Goethe Kindheit und Jugend. Nachdem Goethes längst verwitwete Mutter das Haus 1795 verkauft hatte, geriet es als zunächst in Vergessenheit. Bereits bei einem Frankfurtbesuch im Jahr 1816, nach dem Erscheinen der ersten Teile von "Dichtung und Wahrheit", konnte der Dichter Friedrich Rückert es nicht finden. "Man wieß uns von einem Haus ins andere", schrieb er enttäuscht an einen Freund, "und wir mußten uns begnügen zwischen 2 oder 3 Häusern in der Hirschgasse von außen zu wählen, welches wohl am würdigsten seyn möchte, den Phönix gewiegt zu haben. Ich zog ab, ohne Göthes Haus (...) gesehn zu haben." Erst 1844 wurde eine Gedenktafel an dem Haus angebracht. Zwei Jahrzehnte später schien das inzwischen durch An- und Umbauten völlig verschandelte Gebäude endlich gerettet: Es wurde auf Initiative von Otto Volger 1863 vom Freien Deutschen Hochstift erworben, wieder in den Zustand der Goethezeit versetzt und als Museum eingerichtet. Doch bei einem Luftangriff am 22. März 1944 wurde das Goethehaus völlig zerstört. Dank Ernst Beutler wurde es nach dem Krieg originalgetreu rekonstruiert (1947-51).

Der farbige Mittelteil des neuen Führers lädt die Besucher zu einem Rundgang durch das Goethehaus ein, wobei Grundrissskizzen der einzelnen Etagen die Orientierung erleichtern. Stockwerk für Stockwerk werden die Zimmer in jeweils einem eigenen Artikel vorgestellt, vom Keller, wo einst die wertvollen Weinvorräte der Familie lagerten, bis in das Dichterzimmer unterm Dachgiebel, wo der junge Goethe an seinen frühen Werken arbeitete. An dem Stehpult verfasste er hier u.a. die beiden Fassungen des Dramas "Götz von Berlichingen" (1771/73), wodurch er bekannt, und den Roman "Die Leiden des jungen Werther" (1774), womit er berühmt wurde. Immer wieder siedeln die beiden Autoren des Goethehausführers solche Geschichten und viele Anekdoten am Originalschauplatz an, um dadurch das Haus "mit Leben zu füllen".

Den Abschluss des Goethehausführers bilden wieder zwei Aufsätze, die allerhand kultur- und sozialgeschichtlich interessante Hintergrundinformationen über das Alltagsleben in Goethes Elternhaus und über die Gäste im Goethehaus bieten. Beispielsweise ist dank dem penibel geführten Haushaltungsbuch von Goethes Vater zu erfahren, dass bei Goethes dreimal im Jahr große Wäsche war, wofür eigens Lohnwäscherinnen verpflichtet wurden. Auch dass im Goethehaus Katzen auf Mäusejagd geschickt wurden, ist verbürgt. Denn die Kosten für die Kastration der nützlichen Hausgenossen hat Rat Goethe ebenfalls ordentlich verbucht.

Sabine Hock

Das im Insel Verlag erschienene Taschenbuch "Das Frankfurter Goethe-Haus" von Petra Maisak und Hans-Georg Dewitz ist ab 18. August im Goethehaus (zum Preis von 12,80 Mark) und als Buchhandelsausgabe (zum Preis von 14,80 Mark) erhältlich.

Außerdem ist ein - allerdings nur vor Ort erhältlicher - Kurzführer durch Goethehaus und -museum (in deutscher und englischer Ausgabe) geplant, der Besuchern eine knappe Orientierung ermöglichen soll.