Goethe goes shopping

Frankfurt am Main – Die Gelegenheit ist günstig, doch die Umgebung schlecht gewählt. "Eines Mamsellchens – und sei’s nur durch ein Astloch – in seiner natürlichen Form angesichtig zu werden!" – solche pikanten Wünsche erfüllt Mann sich besser nicht in einem Schaufenster der meist frequentierten Einkaufsmeile des Landes. Der Herr mit Wams und Schnallenschuhen, der im kommenden Juni drei Wochen lang in aller Öffentlichkeit hüftwackelnd und augenrollend durch ein Guckloch in eine Damenumkleide-Kabine spicken wird, kann allerdings mildernde Umstände geltend machen. Er ist, erstens, von Pappe; zweitens, schon 250 Jahre alt; und drittens – Goethe.

Schaufenster frei für Frankfurts gefeierten Filius (in seinen menschlicheren Momenten)! "Goethe goes Shopping", eine gemeinsame Aktion des Vereins "Zeil Aktiv" mit den Cartoonisten und Textern der Spottzeitschrift "Titanic", bringt den Geburtstag des Jahres als satirische Einlage in die Auslagen der Zeil. Kein Goethe für Gottesanbeter. Vielmehr Pappkamerad statt Bronze, Erdenbürger statt Lichtgestalt. In Gestalt von sieben befrackten und – wie anno dazumal im Märchenpark – partiell bewegten Schaufensterpuppen mischt sich der Hochverehrte unters Volk.

Die Inszenierung der "Sieben unerfüllt gebliebenen Wünsche des Johann Wolfgang von Goethe" basiert auf (mehr oder weniger) "authentischen" Seufzern desselben – aufgelesen im weltbekannten Goethe-Archiv der "Titanic" und von Cartoonisten der sogenannten "Neuen Frankfurter Schule" mit spitzer Feder illustriert. Den voyeuristischen Goethe etwa haben Greser & Lenz aufs Paper gebannt. Clodwig Poth spendiert dem bekennenden Genussmenschen ("Die Wanne hab ich wohl – allein, mir fehlt die Soße") ein sprudelndes Endlosbad in Grüner Soße. F.K. Waechter hat ihm den "Wunsch nach einem gehörigen Trumm von Frankfurter Kranz", abgelauscht, "über und über von Kerzen bedeckt", welche der alte Herr freilich nicht ausgepustet bekommt. Robert Gernhardt lässt ihn "auf einem Pegasus reiten, der mich nicht abwirft – ja: Das wär’s!"

Bei Bernd Pfarr endlich darf der Wortathlet Filzkugeln schlagen. Denn wie schrieb Goethe in seinem berühmten gewordenen Brief an Zelter vom 27. April 1818? "Was hat sich die Menschheit nicht alles an sportiven Narreteien einfallen lassen! Da winden sie sich Kautschukstränge um den Leib; da nageln sie sich Räder an die Stiefel; da stellen sie sich auf bunte Bretter... Doch seh‘ ich das junge Volk, wie es im knappen Wams auf dem Tennisplatze sich vergnügt, dann wünsch ich wohl, ich hätt das Spiel selbst einmal erlernet..." Und so geschieht’s posthum.

"Die Zeil", so lautet das Motto, "erfüllt Wünsche" – und nicht nur im ausgehenden 20. Jahrhundert. Schon in Goethes Tagen war sie eine veritable Sehnsuchtsmeile: "Niemand, der heute bei einem Einkaufsbummel über die Zeil schlendert und die Auslagen in den Schaufenstern der großen Kaufhäuser mustert, wird sich vorstellen können, dass diese Straße vom späten 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer der vornehmsten Adressen Deutschlands, wenn nicht sogar Europas zählte." – Nachzulesen im "Handbuch für Reisende auf dem Maine" von 1843.

Die Zeil verpflichtet, auch heute noch. "So hat man den Goethe noch nie gesehen", freut sich Konrad Krüger, Hertie-Geschäftsleiter und Vorstandsvorsitzender von "Zeil aktiv", über den fröhlich-frechen Beitrag zum Jubiläumsjahr. "Damit erreichen wir an einem Tag mehr Leute als so manche ernst gemeinte Ausstellung in Monaten." Allerdings sind die Wünsche eines Dichterfürsten nicht eben kostengünstig: 29.500 Mark an Konstruktionskosten muss ein Kaufhaus berappen, bevor es sich beispielsweise den tennisspielenden Johann Wolfgang in die Vitrine stellen darf...

"Das bisherige Festprogramm kommt doch viel zu staatstragend und museal daher", findet der "Titanic"- Chefredakteur Oliver Maria Schmitt. Das Volk dürfe nicht nur belehrt, sondern müsse auch einmal belustigt werden – schließlich sei der Jubilar dereinst selbst ein großer Komiker gewesen. Den Brückenschlag zwischen Komik und Kommerz Marke "Titanic" haben die geldgebenden Kaufhäuser dann auch unbesehen gekauft, ohne inhaltliche Vorgaben an die Kreativen.

Was für den Geschäftsmann Krüger "eine schöne Werbung" ist und für den Satiriker Schmitt "eine Gegenveranstaltung", das ist für Ingo Mortelt aus dem württembergischen Städtchen Jasthausen lediglich eine Frage des Materials. "Zuerst konstruieren wir den Stahlunterbau, drumherum eine Pappmachéform und zum Schluss kommt die bemalte Silikonhaut drüber." In einer Hinsicht, versichert der Meister-Macher, bleibe alles wie gehabt: Der Antrieb sitzt auch beim elektrischen Goethe im Kopf.

Tanja Rest